Horen wir einander zu!

Published: June 8, 2022, 5:22 a.m.

Der letzte Freitag war ein strahlend sch\xf6ner Tag, was man sich nach gef\xfchlt einer vollen Regenwoche gar nicht mehr vorstellen konnte. Am Abend nach der Vesper bin ich also mit meiner Mitschwester in unser G\xe4rtchen auf der Mauer gegangen, um ein ganzes St\xfcck umzuhacken, Unkraut zu j\xe4ten und mit Sommerblumen einzus\xe4en. Direkt neben unserem Garten ist der Engelsturm, einer von noch zwei Wehrt\xfcrmen der Stadtmauer, die noch da sind. Dieses Areal um den Turm ist sehr beliebt bei Jugendlichen, die sich da treffen und sich unbeobachtet f\xfchlen.\n\nDa stand also schon eine ganze Truppe Jungs, die nat\xfcrlich nicht so toll fanden, dass wir da jetzt arbeiten wollten. So sind sie zwei, drei und auch vier Runden ums Karree gelaufen, immer in der Hoffnung, dass wir dann weg sind. Aber wir waren immer noch da. Und auf einmal, was noch nie passiert ist, kamen sie an den Zaun zu uns. Und einer, der Anf\xfchrer der Truppe hat gefragt, ob sie denn mal was fragen d\xfcrften. Nat\xfcrlich durften sie. Die Einstiegsfrage ging darum, was wir vom Kopftuchverbot hielten, wahrscheinlich, weil wir ja auch quasi Kopft\xfccher tragen.\n\nUnd nach dem ersten Gepl\xe4nkel, um zu testen, wie wir so ticken, ging es dann um alles: um Gott und die Welt, um die T\xfcrkei und Deutschland, um den Konflikt in Israel und den Pal\xe4stinensergebieten, um Hoheitsrechte eines Staates, um freie Religionsaus\xfcbung und so weiter. Ich fand es ein tolles Gespr\xe4ch und nebenbei, mal ich mal meine Mitschwester, haben wir weiter gehackt, gej\xe4tet, geharkt und dann auch die Sommerblumen einges\xe4t.\n\nNach mehr als einer Stunde intensiven Gespr\xe4chs haben sie sich verabschiedet. Sie sind Sch\xfcler des Berufskollegs und machen Wirtschaftsabitur, also schon kluge junge Leute. Man sp\xfcrte schon sehr deutlich, wes Geistes Kinder sie waren und die Indoktrinierung aus dem Heimatland der Eltern war ziemlich stark. Aber am Ende haben wir alle, die Truppe junger M\xe4nner und wir beiden Schwestern, sehr gesp\xfcrt, wie toll es ist, einander zuzuh\xf6ren, Argumente auszutauschen, die jeweils andere Seite anzuschauen und auch die eigenen Festlegungen abzuklopfen. Es war belebend und wohltuend. Und kurz bevor sie die Treppe nach unten weggegangen sind, meinte quasi ihr Sprecher: \u201eWow, sie haben so nebenbei richtig was geschafft\u201c. Ich habe mich gefreut und hoffe ein bisschen, dass er nicht nur das frisch einges\xe4te Blumenbeet meinte.