Ortsgedachtnis fur Blutenpositionen bei der Blutenfledermaus Glossophaga soricina

Published: April 19, 2004, 11 a.m.

b'Die Nahrungssuche ist f\\xfcr Tiere kein triviales Verhaltensproblem. Nahrung ist im Habitat eines Tieres selten homogen verteilt, wobei r\\xe4umliche Heterogenit\\xe4t unter anderem durch das zeitliche Muster der Ressourcenerneuerung und durch die Nahrungssuche der Tiere selbst verursacht wird. Besonders bei sich rasch erneuernden Nahrungsquellen wie z.B. Bl\\xfctennektar ist es f\\xfcr viele Tiere von Vorteil, sich einerseits den Ort dieser Quellen zu merken, um wieder dorthin zur\\xfcckzukehren, andererseits jedoch eine R\\xfcckkehr vor einer rentablen Ressourcenerneuerung zu vermeiden. Bl\\xfcten sind ortskonstant und produzieren Nektar \\xfcber einige Zeit hinweg. Ein gutes Ortsged\\xe4chtnis sowie die F\\xe4higkeit, vorzeitige Wiederbesuche einer Bl\\xfcte zu meiden, k\\xf6nnen somit die Effizienz der Nahrungssuche betr\\xe4chtlich steigern. Viele der neotropischen Bl\\xfctenfledermausarten (Phyllostomidae, Glossophaginae) ern\\xe4hren sich haupts\\xe4chlich von Nektar. Sie erm\\xf6glichen daher die Untersuchung eines spezialisierten Ortsged\\xe4chtnisses bei einem S\\xe4ugetier.\\n\\nDie vorliegende Doktorarbeit hatte zwei Ziele: 1. Die Entwicklung eines neuartigen, computergesteuerten Versuchssystems zur automatisierten Durchf\\xfchrung sequenzieller Verhaltensexperimente mit mehreren Individuen (Kapitel 1). 2. Die Untersuchung des Ortsged\\xe4chtnisses von Bl\\xfctenflederm\\xe4usen f\\xfcr kleinr\\xe4umige Bl\\xfctenansammlungen unter Verwendung dieses Systems (Kapitel 2 bis 5). \\n\\nDas Versuchssystem (Kapitel 1) umfasst ein computergesteuertes k\\xfcnstliches Bl\\xfctenfeld mit 64 Kunstbl\\xfcten sowie 6 ebenfalls computergesteuerte K\\xe4fige. Das Bl\\xfctenfeld stellt eine Nahrungsareal dar, dessen einzelne Futterquellen eine rechnergesteuerte Ergiebigkeit haben und deren wahrnehmbare Erscheinung f\\xfcr drei Sinnesmodalit\\xe4ten (Geruch, visuell, echoakustisch) variiert werden kann. Die K\\xe4fige sind mit je zwei Kunstbl\\xfcten zur Einzeldressur, einem computer\\xfcberwachten Hangplatz, einem Kamera\\xfcberwachungssystem und computergesteuerten T\\xfcren ausgestattet. Bl\\xfctenbesuche und andere versuchsrelevante Parameter werden vom Computer mit Zeitangabe gespeichert. Dieses System erm\\xf6glicht sowohl die Datenaufnahme als auch den Austausch von Versuchstieren computergesteuert und ohne St\\xf6rung der Tiere. Eine Anpassung des Systems an andere Tierarten l\\xe4sst sich problemlos vornehmen. F\\xfcr die Experimente wurden Bl\\xfctenflederm\\xe4use der Art Glossophaga soricina darauf trainiert, am beschriebenen Bl\\xfctenfeld Nektar zu suchen. \\n\\nKapitel 2 befasst sich mit folgenden Fragen: 1. Ist das Ortsged\\xe4chtnis von Bl\\xfcten-flederm\\xe4usen so hoch aufl\\xf6send, dass sie sich auch in einer kleinr\\xe4umigen Ansammlung von Bl\\xfcten wie einer Baumkrone Ort und Qualit\\xe4t einzelner Bl\\xfcten merken k\\xf6nnen? 2. Wenn ja, vermindern sie nach M\\xf6glichkeit die Anforderungen an das Ortsged\\xe4chtnis durch kognitive Gruppierung r\\xe4umlich nahe benachbarter belohnender Bl\\xfcten? 3. Wie hoch sind Kapazit\\xe4t und Flexibilit\\xe4t des Ortsged\\xe4chtnisses innerhalb eines solchen Areals? Die Flederm\\xe4use hatten in diesem Experiment die Aufgabe, am Bl\\xfctenfeld die Nektar gebenden Bl\\xfcten zu finden und deren Positionen zu lernen. 32 der 64 Bl\\xfcten gaben pro Versuchsdurchlauf einmal Nektar, wobei belohnende Bl\\xfcten entweder geklumpt oder zuf\\xe4llig angeordnet waren. Das Ortsged\\xe4chtnis der Flederm\\xe4use erwies sich als so hoch aufl\\xf6send, dass sich die Tiere auch in dieser kleinr\\xe4umigen Bl\\xfctenansammlung einzelne Bl\\xfctenpositionen merken konnten. Zwar erreichten die Tiere bei der geklumpten Verteilung ein h\\xf6heres Korrektwahlenniveaus als in der zuf\\xe4lligen, doch eine Simulation ergab, dass dieser unterschiedliche Korrektwahlenanteil nicht nur auf kognitiver Gruppierung r\\xe4umlich benachbarter Bl\\xfcten beruhen k\\xf6nnte, sondern auch auf \\xf6rtlichen Positionsfehlern. Es bleibt somit ungekl\\xe4rt, ob die Tiere in der gegebenen Situation Bl\\xfcten kognitiv gruppierten, oder bisweilen versehentlich eine Nachbarbl\\xfcte der eigentlich anvisierten Bl\\xfcte besuchten. Das Ortsged\\xe4chtnis der Flederm\\xe4use erwies sich als \\xe4u\\xdferst flexibel. Die Tiere stellten sich schnell und ohne Anzeichen von proaktiver Interferenz (ohne Beeintr\\xe4chtigung der Lernleistung durch zuvor gelernte Information) auf Ver\\xe4nde-rungen der Nahrungsverf\\xfcgbarkeit ein. Sie lernten in beiden Bl\\xfctenverteilungen die Positionen von mindestens 27 Bl\\xfcten. \\n \\nIn Kapitel 3 wurde der Frage nachgegangen, ob die Flederm\\xe4use im oben beschriebenen Versuch unmittelbare (und damit unprofitable) Wiederbesuche vermieden und - falls ja - ob sie dazu ihr r\\xe4umliches Arbeitsged\\xe4chtnis (entspricht dem Kurzzeitged\\xe4chtnis), Bewegungs-regeln oder andere Strategien anwenden w\\xfcrden. Die Tiere vermieden Wiederbesuche. Da sich kein systematisches Ausbeuteverhalten nachweisen lie\\xdf, das rein auf Bewegungsregeln beruhte und ohne Arbeitsged\\xe4chtnis realisierbar gewesen w\\xe4re, ist zu vermuten, dass die Tiere Wiederbesuche haupts\\xe4chlich mit Hilfe ihres Arbeitsged\\xe4chtnisses vermieden. Ist dies der Fall, so konnten sie sich einzelne Bl\\xfctenbesuche \\xfcber mindestens 62 Besuchsereignisse merken (dies zeigte eine Analyse des "Recency"-Effekts).\\n \\nJedem Lernen der Ortsposition einer Bl\\xfcte muss ein Erkennen der Bl\\xfcte als Futterquelle vorangehen. Da Bl\\xfctenflederm\\xe4use in der Regel viele Bl\\xfcten derselben Pflanzenart an verschiedenen Standorten besuchen, ist anzunehmen, dass sie die F\\xe4higkeit besitzen, Bl\\xfcten als "Typ" zu erkennen. In dem in Kapitel 4 beschriebenen Experiment wurde die F\\xe4higkeit untersucht, in einer Zweifachwahl-Diskriminationsaufgabe echoakustisch spezifisch markierte Kunstbl\\xfcten an neuen Standorten wiederzuerkennen. Dies f\\xfchrte zu dem \\xfcberraschenden Befund, dass die Tiere die an einem Ort erlernte Unterscheidung an einem anderen Ort neu lernten und damit keine Generalisierung zeigten. M\\xf6glicherweise ist das L\\xf6sen von Zweifachwahl-Aufgaben f\\xfcr Bl\\xfctenflederm\\xe4use schwierig, weil solche Aufgaben der starken Ortspr\\xe4ferenz der Tiere zuwiderlaufen. \\n\\nEine Bl\\xfcte ist f\\xfcr eine Fledermaus ein multimodaler Stimulus, der echoakustisch, olfaktorisch und gegebenenfalls auch optisch wahrgenommen werden kann. Mit dem in Kapitel 5 beschriebenen Experiment wurde untersucht, ob Sinnesinformation verschiedener Modalit\\xe4ten in unterschiedlicher Weise zum Aufbau des Ortsged\\xe4chtnisses einer Bl\\xfcten-position beitr\\xe4gt. Wie im ersten Versuch hatten die Tiere die Aufgabe, am Bl\\xfctenfeld die Nektar gebenden Bl\\xfcten zu finden und deren Positionen zu lernen. 32 der 64 Bl\\xfcten gaben pro Versuchsdurchlauf einmal Nektar, wobei belohnende Bl\\xfcten zuf\\xe4llig verteilt waren. Belohnende und unbelohnende Bl\\xfcten waren durch verschiedene echoakustische oder visuelle Stimuli oder gar nicht (Kontrolle) gekennzeichnet. Im Verlauf des Experiments wurden die Stimuli zweimal vor\\xfcbergehend entfernt. Die Flederm\\xe4use erreichten mit Stimuli beider Modalit\\xe4ten einen h\\xf6heren Korrektwahlenanteil als ohne. Die Entfernung der Stimuli hatte zur Folge, dass sich der Korrektwahlenanteil zwischen den Versuchsbedingungen nicht mehr signifikant unterschied. Die Tiere nutzten also neben ihrem Ortsged\\xe4chtnis sowohl echoakustische als auch visuelle Information zur Lokalisation Nektar gebender Bl\\xfcten am Feld. W\\xe4hrend echoakustische Stimuli nur als Orientierungshilfe dienten, verbesserten visuelle Stimuli anscheinend zus\\xe4tzlich das Ortslernen, denn nach Entfernung der echo-akustischen Stimuli fiel der Korrektwahlenanteil drastisch, nach Entfernung der visuellen Stimuli nicht.\\n\\nDas im Rahmen dieser Doktorarbeit entwickelte Versuchssystem erwies sich als ein zuverl\\xe4ssiges Mittel zur Durchf\\xfchrung voll automatisierter Versuche mit mehreren Tieren. Die durchgef\\xfchrten Lernexperimente zeigten, dass Bl\\xfctenflederm\\xe4use ein hoch aufl\\xf6sendes, flexibles Langzeit-Ortsged\\xe4chtnis besitzen. Sie k\\xf6nnen unprofitable Wiederbesuche bereits geleerter Bl\\xfcten wahrscheinlich mit Hilfe des Arbeitsged\\xe4chtnisses \\xfcber mehr als 62 Bl\\xfctenanfl\\xfcge meiden. Es war keine Generalisierung echoakustischer Stimuli in Zweifachwahl-Diskriminationsaufgaben zwischen einem Dressurort und einem Testort nachzuweisen. Dieses \\xfcberraschende Ph\\xe4nomen k\\xf6nnte aufgrund des Versuchsparadigmas durch eine Interferenz zwischen Ortslernen und Objektlernen verursacht worden sein. Die Tiere nutzten echoakustische und visuelle Stimuli als Orientierungshilfe, wobei die Pr\\xe4senz visueller Stimuli zus\\xe4tzlich das Ortslernen verbesserte.'