Theodora Becker: Die (un)kontrollierte Frau. Prostitution und staatliche Uberwachung im 19. Jahrhundert und heute

Published: March 15, 2016, 8:24 p.m.

b'Das ambivalente Verh\\xe4ltnis der b\\xfcrgerlichen Gesellschaft zur Prostitution l\\xe4sst sich auf die Frage zuspitzen, warum und inwiefern die Prostitution in ihr nicht als Arbeit gilt, w\\xe4hrend sie zugleich doch nichts anderes sein kann als Erwerbsarbeit. Die Floskel, Prostitution sei „kein Beruf wie jeder andere“, wird auch in der gegenw\\xe4rtigen Debatte um das neue Gesetz zur Regulierung der Prostitution immer wieder verwendet. Mit ihr wird legitimiert, dass es f\\xfcr die Prostitution andere Regeln brauche als f\\xfcr andere Erwerbst\\xe4tigkeiten. Im Zentrum der Debatte steht dabei heute der angebliche „Schutz“ von (migrantischen) Prostituierten vor Ausbeutung und Zwang, was sich auch in der Benennung des neuen Gesetzes als „Prostituiertenschutzgesetz“ widerspiegelt. Der wohlmeinende Titel verdeckt die Tatsache, dass das Gesetz, dessen erkl\\xe4rtes Ziel es ist, „die in der Prostitution T\\xe4tigen besser zu sch\\xfctzen“ und „ihr Selbstbestimmungsrecht zu st\\xe4rken“, in erster Linie repressive und b\\xfcrokratische Ma\\xdfnahmen enth\\xe4lt, die darauf zielen, das Ausma\\xdf der Prostitution zu verringern und das Gewerbe einer umfassenden staatlichen \\xdcberwachung zu unterwerfen: von einer Registrierungspflicht f\\xfcr Sexarbeiterinnen \\xfcber eine Kondompflicht im Sexgewerbe bis zu strikten Auflagen f\\xfcr s\\xe4mtliche Arten von „Prostitutionsst\\xe4tten“.
\\nDas Gesetz steht damit in einer Kontinuit\\xe4t mit der staatlichen Regulierung der Prostitution in der b\\xfcrgerlichen Gesellschaft seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts, die stets davon ausging, dass die Prostitution in ordnungspolitischer, hygienischer, sittlicher, strafrechtlicher und geschlechterpolitischer Hinsicht ein gesellschaftliches Problem darstellt, dem mit repressiven Ma\\xdfnahmen gegen Prostituierte und Bordellbetreiber (bzw. „Zuh\\xe4lter“) zu begegnen sei. Dabei l\\xe4sst sich ein Wechselspiel zwischen \\xdcberwachung und Verdr\\xe4ngung, Regulierung und Verbot der Prostitution feststellen, was sowohl die ambivalente gesellschaftliche Haltung zur Prostitution (zwischen notwendiger Einrichtung und gesellschaftlichem \\xdcbel) ebenso wie das Scheitern der staatlichen Ma\\xdfnahmen in Bezug auf die Kontrolle der Prostitution zeigt.
\\nDas staatliche Handeln hatte dabei vier zentrale Ziele in Bezug auf die Prostitution: Erstens ihre Eind\\xe4mmung und Einhegung, um ihre „entsittlichenden“ Wirkungen auf die Gesellschaft so gering wie m\\xf6glich zu halten; zweitens eine (polizeiliche) Kontrolle der Prostitution, um die mit ihr angeblich notwendig einhergehende Kriminalit\\xe4t zu bek\\xe4mpfen und Schwarzarbeit, Irregularit\\xe4t und Informalit\\xe4t der Branche zu mindern: der Kampf gegen das „Milieu“; drittens gesundheitspolitische Ma\\xdfnahmen, die verhindern sollen, dass durch die Risiken des wechselnden (\\xf6ffentlichen) Geschlechtsverkehrs die „Volksgesundheit“ beeintr\\xe4chtigt wird; sowie viertens der „Schutz“ der Prostituierten vor Ausbeutung, Gewalt und Zwang.
\\nAuch wenn nun in der \\xf6ffentlichen Debatte der letztere Aspekt in den Vordergrund ger\\xfcckt wird, so ist doch der Schutz des „\\xf6ffentlichen Anstandes“ noch immer Teil der Gesetzgebung zur Prostitution, ebenso wie die strafrechtliche Regulierung. Eine konsequente Entkriminalisierung und Legalisierung sind nicht in Sicht.
\\nDer Vortrag beleuchtet vor diesem Hintergrund das neue Gesetz und die Auswirkungen, die es haben k\\xf6nnte, sowie die Ver\\xe4nderungen und Kontinuit\\xe4ten der gesellschaftlichen Ansichten zur Prostitution unter dem Aspekt der Sexualmoral und des Begriffs von Arbeit.
\\n(Quelle des Textes)
\\nDie Aufnahme steht unter der CC BY-SA 3.0 Lizenz
\\nReferenzen
\\nAugust Bebel – Der Sozialismus und die Frau
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