Der Neurotrophinrezeptor p75 wurde als erstes Mitglied der Tumornekrosefaktor-Rezeptor-Superfamilie\nkloniert. Da die trophischen Eigenschaften der Neurotrophine durch eine zweite\nKlasse von Rezeptoren, die Trk-Rezeptor-Tyrosinkinasen, vermittelt werden, wurde p75\nlange als deren \u201eCorezeptor\u201c angesehen. Inzwischen gibt es viele Beweise f\xfcr eine eigen-st\xe4ndige\nSignaltransduktion durch p75, die beispielsweise zur Aktivierung von NF-\u03ba B oder zu\nprogrammiertem Zelltod f\xfchren kann.\nZu Beginn dieser Arbeit war weitgehend unbekannt, wie der Neurotrophinrezeptor p75\napoptotische Signale im Inneren der Zelle weiterleitet. Unter Verwendung des Hefe-\u201eTwo-Hybrid\u201c-\nSystems war im Vorfeld das Zinkfingerprotein NRIF1 (\u201eNeurotrophin Receptor\nInteracting Factor\u201c) als potentieller p75-Interaktionspartner identifiziert worden. Die wichtige\nRolle dieses Proteins als Vermittler von apoptotischen Signalen konnte sp\xe4ter durch gezielte\nDeletion des nrif1-Gens in der Maus best\xe4tigt werden: In nrif1-Nullmutanten wurde eine\nReduktion des embryonalen Zelltodes von Nervenzellen der Netzhaut nachgewiesen, deren\nAusma\xdf dem einer p75- oder ngf (\u201eNerve Growth Factor\u201c)-Deletion entsprach (Casademunt\net al., 1999).\nIn der vorliegenden Arbeit wurde ein zweites nrif-Gen (nrif2) kloniert, das zu \xfcber 90% mit\nnrif1 identisch ist. Beide Proteine besitzen typische Strukturmerkmale negativ regulatorisch\nwirkender Transkriptionsfaktoren. Der carboxyterminale Abschnitt enth\xe4lt f\xfcnf Zinkfinger des\nCys2-His2-Typs, die eine Bindung an DNA vermitteln k\xf6nnten, w\xe4hrend der aminoterminale\nBereich zwei KRAB-Dom\xe4nen enth\xe4lt, die Transkriptionsrepressor-Module darstellen. Das\nnrif2-Gen wird im 5\u2019-untranslatierten Bereich differentiell gesplei\xdft.\nDurch Experimente mit rekombinanten Proteinen aus E. coli und Fibroblasten-Zellinien\nwurde die vermutete Interaktion von NRIF und p75 biochemisch nachgewiesen. Die Ver-wendung\nunterschiedlicher Deletionskonstrukte zeigte, da\xdf f\xfcr die Wechselwirkung nur die\nJuxtamembran-Dom\xe4ne des Rezeptors und ein carboxyterminaler Abschnitt von NRIF\n(stromaufw\xe4rts der Zinkfinger) n\xf6tig sind. NRIF-Proteine k\xf6nnen unter Bildung von Homo-\nund Heterodimeren mit sich selbst interagieren.\nDie Colokalisierung von NRIF1 und NRIF2 bzw. NRIF und p75 nach transienter Transfektion\nvon Fibroblasten-Zellinien best\xe4tigte die biochemisch nachgewiesenen Interaktionen auch in\nvivo.\nDie Expression von NRIF in Zellinien neuronalen Ursprungs offenbarte eine m\xf6gliche\nFunktion als Ausl\xf6ser von Apoptose, welche unabh\xe4ngig von p75 allein durch \xdcber-expression\ndieser Zinkfingerproteine verursacht wurde. Au\xdferdem war in NRIF-\xfcberexprimierenden\nZellen der Einbau von BrdU, einem Thymidin-Analogon, das Zellen in\nder S-Phase des Zellzyklus markiert, stark eingeschr\xe4nkt. Diese Funktionen von NRIF sindbesonders interessant, da in den letzten zwei Jahren weitere Adaptermolek\xfcle des Neuro-trophinrezeptors\np75 identifiziert wurden, die einen Einflu\xdf auf Apoptose und/oder den\nAblauf des Zellzyklus besitzen.\np75 spielt insbesondere w\xe4hrend des programmierten Zelltodes in der Entwicklung des\nNervensystems eine wichtige Rolle und wird im Embryonalstadium am st\xe4rksten exprimiert.\nDie Analyse der mRNA-Expression von nrif best\xe4tigte, da\xdf auch nrif1 und nrif2 w\xe4hrend der\nEmbryonalentwicklung deutlich h\xf6her exprimiert sind als in adulten M\xe4usen. Nrif-mRNA\nwurde jedoch im Gegensatz zu p75-mRNA ubiquit\xe4r in allen untersuchten embryonalen\nGeweben nachgewiesen.\nIn weiterf\xfchrenden Experimenten wurden transgene M\xe4usen untersucht, in denen das nrif1-Gen\ndurch homologe Rekombination entfernt worden war. Diese M\xe4use sind in einem\nkongenen Sv129- oder einem gemischten Sv129/BL6-Hintergrund lebensf\xe4hig und fertil,\nsterben jedoch im BL6-Hintergrund ungef\xe4hr am zw\xf6lften Embryonaltag. Die Hypothese, da\xdf\ndie nrif2-mRNA-Menge in \xfcberlebenden Tieren erh\xf6ht sein k\xf6nnte, wurde zuerst in neugebo-renen\nSv129-M\xe4usen durch semiquantitative RT-PCR-Analysen best\xe4tigt. Eine vergleichen-de\nUntersuchung 10,5 Tage alter Embryonen aus verschiedenen St\xe4mmen deutete auf die\nM\xf6glichkeit einer funktionellen Kompensation hin: W\xe4hrend in Nullmutanten des Sv129-\nStammes die nrif2-mRNA-Konzentration ungef\xe4hr doppelt so hoch war wie in Wildtyp-Tieren,\nkonnten BL6-Nullmutanten die nrif2-Menge nicht differentiell regulieren. Das Fehlen von\nNRIF1 und die gleichzeitige Unf\xe4higkeit einer ausgleichenden Hochregulation von NRIF2\nk\xf6nnten ein wichtiger Grund f\xfcr die embryonale Letalit\xe4t der nrif1 (-/-)-Embryonen im BL6-\nStamm sein. Eine genau ausgewogene Menge der Zinkfingerproteine NRIF1 und NRIF2\nscheint demnach essentiell zu sein, damit wichtige Prozesse wie Zellzyklus und Apoptose\nungest\xf6rt ablaufen k\xf6nnen.