Systembiologie

Published: Nov. 27, 2014, 7:30 a.m.

Auf den Vorschlag von Henning Krause verbreiteten viele Forschende unter dem Hashtag #1TweetForschung ihr Forschungsthema in Kurzform. So auch Lorenz Adlung, der in der Abteilung Systembiologie der Signaltransduktion am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg die mathematische Modellbildung f\xfcr biologische Prozesse erforscht. Bei der Anwendung einer Chemotherapie leiden Krebspatienten oft unter Blutarmut. Hier kann neben der Bluttransfusion das Hormon Erythropoetin, kurz EPO, helfen, da es die k\xf6rpereigene Erzeugung von roten Blutk\xf6rperchen (Erythrozyten) unterst\xfctzt. Leider ist EPO als Dopingmittel bekannt, und um dem Doping noch deutlicher Einhalt zu gebieten, wurde im November 2014 in Deutschland ein Entwurf eines Anti-Doping-Gesetz vorgelegt. Trotz g\xe4ngigem Einsatz und erprobter Wirkung von EPO ist die genaue Wirkung von EPO auf Krebszellen nicht bekannt. Daher verfolgt Lorenz Adlung den Ansatz der Systembiologie, um im Zusammenwirken von Modellbildung und Mathematik, Biologie und Simulationen sowohl qualitativ und quantitativ analysieren und bewerten zu k\xf6nnen. Vereinfacht sind rote Blutk\xf6rperchen kleine Sauerstoff-transportierende S\xe4ckchen aus H\xe4moglobin, die auch die rote Farbe des Bluts verursachen. Sie stammen urspr\xfcnglich aus Stammzellen, aus denen sich im Differenzierungs-Prozess Vorl\xe4uferzellen bzw. Progenitorzellen bilden, die wiederum durch weitere Spezialisierung zu roten Blutk\xf6rperchen werden. Da es nur wenige Stammzellen gibt, aus denen eine unglaubliche gro\xdfe Anzahl von Trillionen von Blutk\xf6rperchen werden m\xfcssen, gibt es verschiedene Teilungs- bzw. Proliferationsprozesse. Das Ganze ergibt einen sehr komplexen Prozess, dessen Verst\xe4ndnis zu neuen Methoden zur Vermehrung von roten Blutk\xf6rperchen f\xfchren k\xf6nnen. Den durch Differenzierung und Proliferation gekennzeichnete Prozess kann man mathematisch beschreiben. Eine zentrale Ansichtsweise in der Systembiologie der Signaltransduktion ist, Zellen als informationsverarbeitende Objekte zu verstehen, die zum Beispiel auf die Information einer h\xf6heren EPO-Konzentration in der Umgebung reagieren. Von diesem Ansatz werden durch Messungen Modelle und Parameter bestimmt, die das Verhalten angemessen beschreiben k\xf6nnen. Diese Modelle werden in Einklang mit bekannten Prozessen auf molekularer Ebene gebracht, um mehr \xfcber die Abl\xe4ufe zu lernen. Die erforderlichen quantitativen Messungen basieren sowohl auf manuellem Abz\xe4hlen unter dem Mikroskop, als auch der Durchflusszytometrie, bei der durch Streuung von Laserlicht an Zellen durch Verwendung von Markern sogar Aussagen \xfcber die Zelloberfl\xe4chen getroffen werden k\xf6nnen. Zus\xe4tzlich kann mit der Massenspektrometrie auch das Innere von Zellen ausgemessen werden. In diesem Anwendungsfall werden die mathematischen Modelle in der Regel durch gekoppelte gew\xf6hnliche Differenzialgleichungen beschrieben, die Zell- oder Proteinkonzentrationen \xfcber die Zeit beschreiben. Die Differenzialgleichungen und deren Parameter werden dabei sowohl mit Messungen kalibriert, als auch mit den Kenntnissen in der Molekularbiologie in Einklang gebracht. Die Anzahl der Parameter ist aber oft zu hoch, um naiv auf geeignete zu den Messungen passende Werte zu gelangen. Daher wird unter anderem das Latin Hypercube Sampling verwendet, um schnell nahe sinnvollen Parameterwerten zu gelangen, die durch gradienten-basierte Optimierungsverfahren verbessert werden k\xf6nnen. Die Basis f\xfcr diese Art von Optimierungsverfahren ist das Newton-Verfahren, mit dem man Nullstellen von Funktionen finden kann. Ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Messergebnissen ist die Ber\xfccksichtigung von Messfehlern, die auch vom Wert der Messung abh\xe4ngig verstanden werden muss- denn nahe der Messgenauigkeit oder der S\xe4ttigung k\xf6nnen die relativen Fehler extrem gro\xdf werden. Die Bestimmung der Modellparameter ist schlie\xdflich auch ein Parameteridentifikationsproblem, wo insbesondere durch eine Sensitivit\xe4tsanalyse auch der Einfluss der gesch\xe4tzten Parameter bestimmt werden kann. (...)