L-Funktionen

Published: June 11, 2015, 7:30 a.m.

Eine alte Fragestellung lautet, was die Summe der Kehrwerte aller nat\xfcrlicher Zahlen ist. Mit anderen Worten: existiert der Grenzwert der Harmonischen Reihe \\sum_{n=1}^\\infty\\frac{1}{n}? Die Antwort, die man im ersten Semester kennenlernen ist: Diese Reihe ist divergiert, der Wert ist nicht endlich. \xdcber die spannenden Entwicklungen in der Zahlentheorie, die sich daraus ergaben, berichtet Fabian Januszewski im Gespr\xe4ch mit Gudrun Th\xe4ter. Eine verwandte Fragestellung zur harmonischen Reihe lautet: Wie steht es um den Wert von \\sum_{n=1}^\\infty\\frac{1}{n^2}? Diese Frage wurde im 17. Jahrhundert aufgeworfen und man wu\xdfte, da\xdf der Wert dieser Reihe endlich ist. Allerdings kannte man den exakten Wert nicht. Diese Frage war als das sogannte Basel-Problem bekannt. Eine \xe4hnliche Reihe ist $\\sum_{n=1}^\\infty\\frac{2}{n(n+1)}.$ Ihr Wert l\xe4\xdft sich elementar bestimmen: $\\begin{array}{rcl}\\displaystyle \\sum_{n=1}^\\infty\\frac{2}{n(n+1)}&=&\\displaystyle1+ \\frac{1}{3} + \\frac{1}{6}+ \\frac{1}{10}+\\cdots \\\\ &=&\\displaystyle2\\left(\\frac{1}{2}+ \\frac{1}{6} + \\frac{1}{12}+ \\frac{1}{20}+\\cdots\\right)\\\\ &=& \\displaystyle2\\left(\\left(1-\\frac{1}{2}}\\right) + \\left(\\frac{1}{2}-\\frac{1}{3}\\right) + \\left(\\frac{1}{3}-\\frac{1}{4}\\right)+\\cdots\\right)=2\\,.\\end{array}$ Dies war lange bekannt, und das Basel-Problem war ungleich schwieriger: Es blieb fast einhundert Jahre lang ungel\xf6st. Erst Leonhard Euler l\xf6ste es 1741: $\\sum_{n=1}^\\infty\\frac{1}{n^2}=\\frac{\\pi^2}{6}\\,.$ Die Riemann'sche \\zeta-Funktion Die Geschichte der L-Reihen beginnt bereits bei Leonhard Euler, welcher im 18. Jahrhundert im Kontext des Basel-Problems die Riemann'sche \\zeta-Funktion' \\displaystyle\\zeta(s)=\\sum_{n=1}^\\infty n^{-s} entdeckte und zeigte, dass sie der Produktformel \\displaystyle\\zeta(s)=\\prod_{p}\\frac{1}{1-p^{-s}} gen\xfcgt, wobei p die Menge der Primzahlen durchl\xe4uft und s>1 eine reelle Variable ist. Diese Tatsache ist \xe4quivalent zum Fundamentalsatz der Arithmetik: jede nat\xfcrliche Zahl besitzt eine eindeutige Primfaktorzerlegung. Eulers L\xf6sung des Basel-Problems besagt, da\xdf \\zeta(2)=\\frac{\\pi^2}{6} und diese Formel l\xe4\xdft sich auf alle geraden positiven Argumente verallgemeinern: \\zeta(2k)=(2\\pi i)^{2k}\\cdot\\left(-\\frac{B_{2k}}{2(2k)!}, wobei B_{2k}\\in\\mathbb Q^\\times die 2k-te Bernoulli-Zahl bezeichnet. Im 19. Jahrhundert zeigte Bernhard Riemann, dass die a priori nur f\xfcr {\\rm Re}(s)>1,\\;s\\in{\\mathbb C} konvergente Reihe \\zeta(s) eine holomorphe Fortsetzung auf {\\mathbb C}-\\{1\\} besitzt, einer Funktionalgleichung der Form s \\mapsto 1-s gen\xfcgt und einen einfachen Pol mit Residuum 1 bei s=1 aufweist. Letztere Aussage spiegelt die Tatsache wieder, dass in \\mathbb Z jedes Ideal ein Hauptideal ist und \\pm1 die einzigen multiplikativ invertierbaren Elemente sind. Weiterhin wei\xdf \\zeta(s) viel \xfcber die Verteilung von Primzahlen. Setzen wir $\\displaystyle \\Lambda(s):=\\pi^{-s/2}\\Gamma(\\frac{s}{2})\\zeta(s)\\,,$ dann zeigte Riemann, da\xdf die so definierte vervollst\xe4ndigte Riemann'sche \\zeta-Funktion auf ganz \\mathbb C-\\{0,1\\} holomorph ist und der Funktionalgleichung \\Lambda(s)=\\Lambda(1-s) gen\xfcgt. Da die \\Gamma-Funktion Pole bei nicht-positiven ganzzahligen Argumenten besitzt, ergibt sich hieraus die Existenz und Lage der sogenannten "trivialen Nullstellen" von \\zeta(s): \\zeta(-2k)=0 f\xfcr k\\geq 1. Konzeptionell sollte man sich den Faktor \\pi^{-s/2}\\Gamma(\\frac{s}{2}) als Eulerfaktor bei \\infty vorstellen. John Tate zeigte in seiner ber\xfchmten Dissertation, da\xdf dies tats\xe4chlich sinnvoll ist: Die endlichen Eulerfaktoren werden von Tate als Integrale \xfcber \\mathbb Q_p^\\times interpretiert, und der "unendliche" Eulerfaktor ist ebenfalls durch ein entsprechendes Integral \xfcber \\mathbb R^\\times gegeben. Er legte damit den Grundstein f\xfcr weitreichende Verallgemeinerungen. Die Riemann'sche \\zeta-Funktion ist der Prototyp einer L-Funktion, einem Begriff, der langsam Schritt f\xfcr Schritt verallgemeinert wurde. (...)